Gehfußball: Der neue Trendsport

Kicken wie die Profis, nur eine Gangart langsamer: Wir waren beim Training „auf Schalke“ dabei.

Das Morgentraining in der Halle des Bundesligavereins Schalke 04 in Gelsenkirchen ist seit neun Uhr in vollem Gange: Rund um die Hindernisse spielen sich Jürgen, Olaf, Klaus und ihre Kumpels routiniert die Bälle zu.
Der Trainer nennt die gut 30 Mann starke Truppe seine „Jungs“. Für sie ist er „der Martin“. Martin Max ist nicht nur hier auf Schalke gut bekannt. Der Ex-Fußballer war zweimal Torschützenkönig der Bundesliga und holte auf dem Höhepunkt seiner Profikarriere mit Schalke 04 den Europapokal. Von so einem lassen sich die „Jungs“ gerne sagen, wo’s langgeht.

Die Männer sollen Passspiel üben und dabei um kleine Hütchen herumsteuern. Max dirigiert sie. „Dieter, abprallen lassen und in die Mitte!“, ruft er. „Und jetzt Dieter zu Klaus.“ Der tritt zu zögerlich an und wird angefeuert: „Klaus, weiter, komm, komm!“

Das alles hat große Ähnlichkeit mit Fußballtraining, wie man es üblicherweise kennt. Mit einigen Unterschieden: Das Haar der meisten Kicker ist ergraut, unter manchem gespannten Trikot wölbt sich ein Bauch. Und das Tempo irritiert. Denn die Spieler laufen nicht. Sie gehen.

Bloß nicht rennen!

„Beim Gehfußball ist einiges anders als beim klassischen Rasenspiel“, sagt Sebastian Buntkirchen. Als Geschäftsführer der Stiftung „Schalke hilft!“ hat er 2017 die Gehfußball- Sparte des Vereins ins Leben gerufen. Auf 85 aktive Spieler ist die Gehfußball-Abteilung heute angewachsen, es gibt inzwischen zwei Trainingstermine pro Woche. „Die wichtigste Regel lautet: Es wird nicht gerannt!“, so Buntkirchen. „Außerdem darf der Ball nur hüfthoch geschossen werden, und Rempeln oder Grätschen sind verboten.“ Spielflächen und Mannschaften seien kleiner, und eine Spieleinheit dauere nur zehn statt 45 Minuten.

Diese Vorgaben verwandeln die mit Abstand beliebteste Sportart der Deutschen in ein geradezu ideales Fitnesstraining für Ältere. Zielgruppe sind Fußballer ab 50 Jahren, Interesse zeigen überwiegend Männer. Nach oben gibt es keine Altersgrenze. Mit 76 Jahren ist Udo der Älteste im Schalker Team. Er hat schon in seiner Jugend hier Fußball gespielt. Seit ihm bei einem Eingriff am Herzen vor zwei Jahren ein Stent eingesetzt wurde, hält er sich mit dem Ballsport fit.

„Wir sind ein Ersatzteilladen!“

Gesundheitliche Handicaps sind beim Gehfußball, sofern der Arzt nicht vom Sport abrät, kein Problem. „Wir sind hier ein richtiger Ersatzteilladen“, scherzt Martin Max. Künstliche Herzklappen und Hüftgelenke, Bypässe, Stents — das Register der Operierten und trotzdem hier vergnügt Kickenden ist lang.

Ideal bei Diabetes Typ 2

Einige Spieler haben Typ-2-Diabetes, darunter der 65-jährige Bodo. Als er vor zwei Jahren einstieg, wog er 107 Kilogramm und hatte einen miserablen Blutzucker-Langzeitwert (HbA1c) von 11,6 Prozent. Heute sind dank gesünderer Lebensweise fast 15 Kilo runter, und der HbA1c hat sich auf 6,2 verbessert. Für einen Diabetiker ein Idealwert. „Als ich von dem Angebot erfahren habe, hatte ich sofort Lust darauf“, erzählt er. „Von der Couch runter, Fußball spielen — das passte!“

Auch Werner ist fast jede Woche mit von der Partie. „Weil ich meinen Diabetes mit Insulin behandle, muss ich beim Training den Blutzucker natürlich im Blick haben“, sagt er. Dank Sensor am Arm kann er den Wert jederzeit schnell checken. Für den Fall der Fälle liegt Traubenzucker in der Sporttasche griffbereit.

Der Arzt: Auf dem Spielfeld

„Ich könnte jederzeit eine Erstversorgung machen“, sagt Günther mit einem Augenzwinkern. 30 Jahre lang führte der Arzt eine allgemeinmedizinische Praxis in Gelsenkirchen. Inzwischen genießt der 71-Jährige seinen Ruhestand. Eigentlich gehöre dazu auch das Ausschlafen. „Aber für den Fußball stehe ich morgens gerne auf!“

Das Hobby eint Männer quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Lehrer und Rechtsanwälte kicken gemeinsam mit Köchen und ehemaligen Bergleuten. Sie begeistern sich dafür, Teil einer Mannschaft zu sein, und für viele sind hier auch neue private Kontakte und Freundschaften entstanden.

Besondere Highlights sind die gemeinsamen Fahrten zu Freundschaftsspielen und zu internationalen Turnieren. Dafür kommt der Verein auf, der die Spieler auch mit offiziellen Trikots ausstattet.

„Mittlerweile gibt es sogar eine Liga“, erzählt Boris Liebing, der sich auf Schalke um alles Organisatorische rund um den Gehfußball kümmert. In England, wo „Walking Football“ entstanden ist, hat sich das entschleunigte Ballspiel schon zum Breitensport entwickelt. Liebing sagt Ähnliches auch für Deutschland voraus. „Immer mehr Klubs aus der ersten Bundesliga gründen Walking-Football-Teams“, erzählt er.

Der Zähler zeigt 7000 Schritte

Liebing ist selbst regelmäßig beim Training dabei. Nach Abpfiff des letzten Spiels an diesem Vormittag checkt er den Schrittzähler am Handgelenk. Mehr als 7000 Schritte innerhalb der zwei Stunden zeigt das Display an. Das ist weit mehr, als ein Deutscher durchschnittlich an einem Tag zurücklegt.

Alle Spieler sind beim Training ins Schwitzen geraten. Doch der Gruppensport stärkt nicht nur die Ausdauer, sondern ist auch ein mentales Training für Ältere. Martin Max baut viele taktische Übungen ein und variiert sie immer wieder, „damit die Jungs ihre grauen Zellen anstrengen müssen“.

Thomas war heute zum ersten Mal dabei. Er hat gesundheitlich viel mitgemacht, bekam vor einem Jahr eine Niere transplantiert. Der Arzt hat zu Sport geraten. Noch etwas aus der Puste, aber mit einem Lächeln verlässt er den Platz: „Das macht ja riesig Spaß!“ Die Kondi- tion fehle noch, aber das lasse sich ändern. „Ganz klar, nächste Woche bin ich wieder dabei!“

 

Den originalen Artikel finden Sie unter: https://www.diabetes-ratgeber.net/Sport/Gehfussball-Der-neue-Trendsport-555725.html

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